Ein Referenzrahmen für plurale Ansätze
   zu Sprachen und Kulturen

Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen

Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (Sprachensensibilisierung, Integrative didaktische Ansätze, Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen, interkulturelle Ansätze) beruhen auf Aktivitäten, die verschiedene sprachliche und kulturelle Varianten berücksichtigen. Sie entwickeln ganz konkret den Begriff der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz im Sinne des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Sie bieten Techniken zur Erstellung von Unterrichtseinheiten, die die Entwicklung und kontinuierliche Erweiterung dieser Kompetenz der Lernenden fördert. Der REPA ergänzt in seiner Erfassung der mehrsprachigen und plurikulturellen Aspekte des Lernens die übrigen Instrumente des Europarates.

Das Konzept 'Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen' meint Lehr- und Lernverfahren, die zugleich mehrere Sprachen bzw. sprachliche Varietäten und Kulturen und einen übergreifenden Kompetenzbegriff einbeziehen. 

Den pluralen Ansätzen stehen traditionell einzelzielsprachliche Konzepte gegenüber. Diese fokussieren nur auf eine einzige Zielsprache und/oder eine bestimmte Zielkultur. Solche einzelzielsprachlichen Ansätze stehen nicht im Einklang mit der lernerseitig vorhandenen Mehrsprachigkeit des mentalen Lexikons. Sie wurden besonders durch die direkte Methode, dann durch die strukturalen, dann kommunikativen Ansätze aufgewertet, als Übersetzungen sowie jeder Rückgriff auf die Erstsprache aus dem Lehrprozess verbannt wurde.

Wir unterscheiden vier plurale Ansätze:

Eveil aux langues-Ansatz

Gemäß der im Rahmen von EU-Projekten entwickelten Definition, findet Eveil aux langues statt, wenn im Unterricht zum Teil Lehr- und Lernaktivitäten zu Sprachen durchgeführt werden, deren Vermittlung traditionell nicht zum schulischen Fächerkanon zählt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Eveil aux langues-Ansatz nur mit außerschulischen Sprachen befassen würde. Er bezieht prinzipiell alle Sprachen und sprachlichen Varietäten ein, darunter die Schulsprache, die Schulfremdsprachen, die Umgebungs- bzw. Herkunftssprachen. Auf Grund der großen Anzahl der potenziell betroffenen Sprachen - häufig mehrere Dutzend - darf dieses Konzept als die umfassendste Komponente der pluralen Ansätze gelten. Sie stellt ursprünglich eine Art Wegbereiter dar, der Schülern bereits am Anfang ihrer Schullaufbahn die Vielfalt der Sprachen (einschließlich ihrer eigenen) bewusst macht. Sodann ist der Ansatz eine Strategie zur Förderung von Sprachen­bewusstheit, schließlich eine Art für die Grundschule entwickeltes 'Propädeutikum' für das weitere Sprachenlernen.

Hervorzuheben ist die Verbindung des Eveil aux langues-Konzepts mit dem britischen Language Awareness-Konzept Eric Hawkins aus den 1980er Jahren (vgl. Hawkins 1984 und James & Garret 1992). Allerdings lässt sich Eveil aux langues heute als eine Untereinheit des Language Awareness-Ansatzes betrachten, der auch Arbeiten Raum gibt, die eher psycholinguistisch als pädagogisch orientiert sind, was nicht mehr zwangsläufig die Auseinandersetzung des Lernenden mit einer Vielzahl von Sprachen beinhaltet. Aus diesem Grund wurde für diesen Ansatz der englische Begriff Awakening to languages gewählt.
 

L'éveil aux langues/Awakening to languages heute
eine zweisprachige (EN/FR) Powerpoint-Präsentation von Michel Candelier und Ildikó Lörincz (6th EDiLiC Conference / 6ème Congrès EDiLiC, Györ, July/Juillet 2016)

Interkomprehension zwischen nah verwandten Sprachen

Die Interkomprehension zwischen nah verwandten Sprachen zielt entweder auf den parallelen Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen ein und derselben Sprachenfamilie (germanische, romanische, slawische Sprachen u.s.w.) oder aber auf den Erwerb einer Zielsprache unter starkem Rückgriff auf mutter-, zweit- oder fremdsprachliches Wissen in (einer) anderen (nah)verwandten Sprache(n).  Auch in diesem Ansatz werden systematisch die Ähnlichkeiten innerhalb derselben Sprachenfamilie für den Aufbau vor allem rezeptiver Kompetenz genutzt. Seit den 1990er Jahren stand die Interkomprehension im Zentrum innovativer Projekte. Sie betraf sowohl Studierende an Hochschulen als auch Schüler der Sekundarstufe, und zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten in romanischen Ländern, aber auch in Deutschland.

Im schulischen Unterricht ist die Interkomprehension in unterschiedlichem Umfang implantiert. Eine besondere Rolle spielt sie im Bereich der Tertiärsprachendidaktik (z.B. Italienisch oder Spanisch in Deutschland nach Englisch- oder Französisch­unterricht). Empirische Studien zeigen, dass die inzwischen entwickelte Interkomprehensionsdidaktik  eine starke Strategie darstellt, um Sprachlernkompetenz zu befördern.

Interkulturelles Lernen

Das interkulturelle Lernen hat einen breiten Einfluss auf die Sprachdidaktik und darf daher als bekannt vorausgesetzt werden.

Den zahlreichen Auffassungen von interkulturellem Lernen liegen gemeinsame didaktische Prinzipien zugrunde. Ausgehend von einem oder mehreren kulturellen Phänomenen werden die Deutung und das Verstehen anderer kultureller Phänomene angestrebt. Dabei wird Kultur als komplex, dynamisch, offen und hybrid definiert.

Darüber hinaus regen diese Prinzipien zum Einsatz von Strategien zur Reflexion über Kontaktsituationen an, an denen Individuen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund beteiligt sind.

Integrative Sprachendidaktik in unterschiedlichen gelernten Sprachen

Die Integrative Sprachendidaktik möchte Lernenden dabei helfen, Verbindungen zwischen einer begrenzten Anzahl von Sprachen herzustellen - sei es, um im "klassischen" Sinne die gleichen Kompetenzen in alles unterrichteten Sprachen aufzubauen oder um Teilkompetenzen in bestimmten Sprachen zu entwickeln.

Ihre Methodik besteht in einer sprachenübergreifenden Steuerung, die die Erstsprache und/oder zwei vorgelernte Fremdsprachen und die persönlichen Sprachlernerfahrungen als Ausgangspunkt für den Erwerb einer und weiterer Fremdsprache(n) nutzt. Sie greift dabei, soweit möglich, auf alle einem Lerner verfügbaren Sprachen und dessen relevantes Vorwissen zurück. In diese Richtung weisen bereits Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren (Abel 1971; Roulet 1080). In enger Anbindung hierzu steht Deutsch als Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) (vgl. Arbeiten zur Tertiärsprachendidaktik). Man begegnet dem integrativen Ansatz auch gelegentlich in der bilingualen (plurilingualen) Bildung, die das Ziel verfolgt, die Verbindung von Unterrichts- und Fremdsprachen für den Aufbau einer mehrsprachigen Kompetenz zu optimieren.